Im Gespräch: Jen-Hsun Huang, Präsident und Vorstandsvorsitzender Nvidia Corp.

Text: F.A.Z., 15.10.2008, Nr. 241 / Seite 16, Das Gespräch führte Stephan Finsterbusch.

"Wir revolutionieren die Computer"
Nvidia hat den Grafikchip in der Computerbranche hoffähig gemacht. Trotz Finanzkrise und harten Wettbewerbs ist der kalifornische Chiphersteller nun dabei, die winzigen Bausteine in das Zentrum der Hochtechnologie zu rücken.

FRAGE:
An den Börsen erleben wir turbulente Zeiten. Der Kreditmarkt ist in der Klemme, das Chipgeschäft so volatil wie nie zuvor. Trifft Sie das?
ANTWORT:
Wen trifft das nicht? Nvidia ist zwar ein Designhaus für Grafiklösungen und lebt von seiner Innovationskraft. Auf der geschäftlichen Seite stehen wir aber auf zwei Säulen - dem Konsumentenbereich und der Firmenkundensparte. Während wir im Geschäft mit Unternehmen für die kommenden Monate mit Wachstumsraten von 30 Prozent rechnen dürfen, spüren wir im Konsumbereich schon eine gewisse Zurückhaltung.
FRAGE:
Wie groß ist das Konsumgeschäft, gemessen am Konzernumsatz von zuletzt 4 Milliarden Dollar im Jahr?
ANTWORT:
Wir erlösen 70 Prozent im Konsum- und 30 Prozent im Unternehmensbereich. Dabei sind wir mit unserer breiten Palette an Grafiklösungen auf vier Feldern vertreten. Wir bieten Chips für die Unterhaltungselektronik an. Darüber hinaus beliefern wir auch professionelle Industriedesigner und rüsten wissenschaftliche sowie mobile Computeranwendungen aus.
FRAGE:
Reicht das, um in einer so kapitalintensiven Branche wie der Chipindustrie heil durch eine Rezession der Weltwirtschaft zu kommen?
ANTWORT:
Wir sind gut aufgestellt. Als Designhaus betreiben wir keine teuren Fabriken. Wir entwerfen und entwickeln Chips. Die Produktion machen Auftragsfertiger für uns. So sind wir auf der Kapitalseite entlastet und können uns ganz auf das Kerngeschäft konzentrieren: Innovation. Diese Arbeitsteilung ist ein effizientes Geschäftsmodell für alle Beteiligten und wird ja nun auch von einigen Konkurrenten imitiert.
FRAGE:
Dennoch gingen Umsatz und Gewinn zu-letzt zurück. Auch standen Sie aufgrund fehlerhafter Chips im Kreuzfeuer.
ANTWORT:
Auf beide Punkte haben wir reagiert. Wir haben auf der einen Seite einen tiefen Kostenschnitt gemacht. Auf der anderen Seite deckten wir auf der Produktebene Schwachstellen auf, stellten fast 200 Millionen Dollar zu deren Behebung zurück, gingen die Probleme mit den Partnern in der Computerbranche an und helfen nun betroffenen Kunden, die Systeme so robust wie möglich zu machen.
FRAGE:
Auch Intel und AMD mischen auf dem Markt für Grafikchips kräftig mit. Wie wollen Sie die in Schach halten?
ANTWORT:
Mit Innovation. AMD und Intel verfolgen mit der Integration von Haupt- und Grafikprozessor eine etwas andere Strategie als Nvidia. Wir setzen ganz auf die Weiterentwicklung von Grafikprozessoren.
Damit sind wir in einem Bereich tätig, der in den vergangenen Jahren ins Zentrum der Chipbranche rückte. Denn Bildinformatik ist zu einer der wichtigsten Komponenten der heutigen Computerindustrie geworden. Denken Sie nur an Videospiele, Film- und TV-Produktionen oder die Fotobearbeitung am Heimcomputer. Ohne Visual Computing läuft kaum noch etwas in der Industrie. Der Markt wächst und wird in wenigen Jahren ein Volumen von 20 bis 30 Milliarden Dollar haben. Wir sind heute die Nummer eins, wir werden es auch in fünf Jahren sein.
FRAGE:
Sie sehen Grafikprozessoren als entscheidende Komponente für die Entwicklung der Computerbranche an?
ANTWORT:
So weit würde ich gar nicht gehen wollen. Richtig ist, dass Grafikprozessoren eine Bedeutung haben, die ihnen vor wenigen Jahren niemand zugetraut hätte, niemand - außer uns. Wir konzentrierten uns seit der Gründung von Nvidia Anfang der neunziger Jahre auf diese Bausteine. Damals war der Grafikprozessor ein Element, der an den Hauptprozessor angedockt, als Bindeglied zum Bildschirm verwendet und nur für bestimmte Aufgaben wie Videospiele voll aktiviert wurde. Heute ist das anders: Dreidimensionale Darstellungen beherrschen heute die Computerwelt. Daher müssen Grafikprozessoren besser sein als Hauptprozessoren, und das sind sie.
FRAGE: Wie das?
ANTWORT: Sie kennen Moores Law?
FRAGE:
Sie meinen die Regel, wonach sich die Komplexität integrierter Schaltungen alle zwei Jahre verdoppelt?
ANTWORT:
Genau die meine ich. Aber wissen Sie auch, dass wir mit Grafikchips allenfalls noch ein Jahr dazu brauchen? Seit wir im Geschäft sind, stieg die Zahl der Transistoren auf einem einzigen Grafikchip von einer Million auf anderthalb Milliarden. Grafikprozessoren arbeiten heute mit einer Geschwindigkeit von fast einem Teraflop, Hauptprozessoren kommen mit 100 Millionen Gigaflops auf ein Zehntel dieser Leistung.
FRAGE: Was macht Grafikchips so schnell?
ANTWORT:
Während Hauptprozessoren erst vor fünf Jahren mit mehr als nur einem Rechenkern ausgestattet wurden, arbeiten Grafikprozessoren schon lange mit mehreren Rechenkernen; während erstklassige Hauptprozessoren heute über vier Rechenkerne verfügen, kommen Grafikchips auf 240 Kerne; während ein Hauptprozessor in der Regel alles Schritt für Schritt abarbeitet, kann ein Grafikprozessor viele Rechenoperationen gleichzeitig ausführen. Das ist es, was ihn so schnell und einen Heimcomputer zum Multimediagerät macht.
FRAGE:
Wenn die Grafikprozessoren so viel besser sind als Hauptprozessoren, warum ersetzen Sie die dann nicht einfach?
ANTWORT:
Die Entwicklung steht erst am Anfang. Hauptprozessoren werden seit Jahrzehnten als zentrale Bausteine in Computer eingebaut. Das ist ein Standard. Den ändert man nicht so einfach. Grafikprozessoren haben erst in den vergangenen Jahren gezeigt, was in ihnen stecken kann. Daher betrachten wir beide, Grafik- und Hauptprozessor, als eine Partnerschaft. Ein Schritt auf dem Weg hochleistungsfähiger Grafikchips war, dass wir sie programmierbar und somit flexibel einsetzbar machten. Das war vorher nur mit Hauptprozessoren machbar.
FRAGE: Wie kamen Sie auf diese Idee?
ANTWORT:
Das ist eine interessante Geschichte. Wir kamen durch eine Gruppe Studenten an der kalifornischen Stanford-Universität darauf. Die arbeiteten auf wissenschaftlicher Ebene mit unseren Bausteinen. Vor sechs Jahren wollten sie die Anwendungen erweitern und hatten die Idee, einen General-Grafikprozessor zu schaffen. Das bedeutete, sie mussten die Chips wie Hauptprozessoren programmieren, um sie multifunktional einsetzen zu können. Das war eine Art Untergrundbewegung der Hightech-Szene. Wir sahen das Potential und sagten uns: "Hey, das ist eine Revolution." Dann entwarfen wir Cuda.
FRAGE: Was ist Cuda?
ANTWORT:
Cuda ist eine Architektur für Grafikchips. Damit haben wir die Chips faktisch programmierbar und aus fixierten Bausteinen flexibler gemacht. Mittlerweile unterstützen vom GeeForce bis zur Tesla-Linie alle unsere Prozessoren Cuda. So können sie sehr breit eingesetzt werden. Im vergangenen Jahr sind wir mit Cuda auf den Markt gegangen und haben über das Internet kostenlos ein Entwickler-Paket dafür angeboten. Bis heute haben wir 160 000 Downloads von Programmierern in aller Welt registriert. Das ist unglaublich. Entwickler, Softwarefirmen und Universitäten machen mit Cuda nun Anwendungen für Grafikbausteine möglich, die bisher nur auf Hauptprozessoren liefen.
FRAGE: Was heißt das auf der Produktseite?
ANTWORT:
Das heißt, dank der parallelen Rechentechnik der Grafikchips können Videoformate rascher umgewandelt und Fotos sowie Filme in Schärfe, Farbe und Kontrast so bearbeitet werden, dass sie im Ergebnis qualitativ besser sind als das Original. Zweitens muss in der Sicherheitstechnik eine Anti-Viren-Software nicht mehr über den Haupt-, sondern kann nun auch auf dem Grafikchip laufen. Das entlastet den zentralen Rechenbaustein. Oder nehmen Sie drittens unseren Tegra-Chip. Der hat die Größe eines 10-Cent-Stücks, ist Grafik-, Haupt-, High-Definition-Video- und Image-Prozessor in einem. Das ist faktisch ein Computer in Chipgröße.
FRAGE:
Das hatte Ken Kutaragi von Sony mit seinem Cell-Chip für die Playstation schon vor sechs Jahren zu Protokoll gegeben.
ANTWORT:
Der Cell-Chip war eine wichtige Inspiration für uns. Er eröffnete mit dem Multikernkonzept und seiner hohen Parallelisierung neue Wege. Nvidia ist in den vergangenen fünf Jahren weiter gegangen als die japanisch-amerikanischen Entwickler des Cell. Wir revolutionieren die Computer. Denn dank der neuen Chiptechnik können Heimrechner bald die Leistung von Supercomputern haben.